Andorra – Wellnessparadies und Wintersturm


Die meisten unserer Freunde waren leicht verwirrt, als wir erzählten, wir fahren für ein paar Tage nach Andorra. „Wohin?“ war die häufigste Reaktion. Das ist so schade, denn auf unserem Novembertrip kamen wir in perfekte Vorweihnachtsstimmung! Das Fürstentum ist ein kleiner, 468 km² großer Freistaat und damit gerade mal etwa halb so groß wie Berlin. Er liegt zwischen Frankreich und Spanien mitten in den Pyrenäen. Wir sind also nach Barcelona geflogen und von dort aus mit dem Bus etwa dreieinhalb Stunden nach Norden gefahren. Es ist erstaunlich, dass die Grenze zu Andorra fast physisch sichtbar ist, denn die spanische Seite ist sehr karg und nahezu unbewohnt. Sobald ihr allerdings über die Grenze fahrt, werdet ihr sehen, wie gepflegt die Grundstücke der Andorraner sind.

Das gebirgige Wintersport- und Steuerparadies liegt in einer durchschnittlichen Höhe von 1.996 m ü. NN. Der Coma Pedrosa ist mit 2946 Metern der höchste Berg des Landes, doch 64 weitere Berggipfel übersteigen die 2000-Meter-Grenze. Insgesamt leben mittlerweile etwa 75.000 Menschen in Andorra – etwa so viele, wie ihr in Norderstedt bei Hamburg findet. Viele Tagesbesucher kommen auch wegen dem günstigen Alkohol und Tabak über die Grenze.

Mehr als ein Drittel des Zwergstaates liegt oberhalb der Baumgrenze, da könnt ihr euch schon denken, dass wir im November schon wunderschöne Schneelandschaften bestaunen konnten. Gerade der Wintersport zieht viele Touristen hierher. Auch unser Sporthotel Village Andorra Soldeu war darauf ausgelegt, dass sich die Gäste nach ihrer sportlichen Betätigung wieder entspannen können – anders konnten wir uns die vier Etagen Wellnessbereich nicht erklären. Unfassbar, wie toll dieser Bereich war: Sauna, Schwimmbecken, Massage-Anwendungen, alles was ihr euch wünschen könnt. Auch der Zugang ist herrlich bequem – ihr könnt im Bademantel direkt vom Zimmer aus einen gut erwärmten Gang entlang zum Wellnessbereich schlendern und dort die Seele baumeln lassen. Das war allerdings nur ein Aspekt, der uns in diesem Hotel prima gefallen und unsere Erwartungen mehr als übertroffen hat. Unsere Service-Reisen-Kollegen hatten uns ja vorher schon von diesem Hotel vorgeschwärmt, aber es ist doch immer was anderes, es selbst zu erleben.

Um ein Gespür für das Land zu bekommen, besuchten wir in Ordino unter anderem das Casa d’Areny-Plandolit, ein Museum über eine der ehemals reichsten Familien Andorras, die in der Hüttenindustrie zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert tätig war und die Geschichte des Landes mit bestimmten. Da die Räume des aristokratischen Herrenhauses recht klein sind, werden größere Gruppen bei einer Führung geteilt. Wir waren sehr beeindruckt, was für einen Standard sich die Familie damals schon in ihr Haus hat einbauen lassen. Allerdings gab es auch so lustige Situationen, in denen wir uns fragten, wie sie es mit zwei getrennten Ehebetten schafften, acht Kinder zu bekommen. 😀 In diesem Zusammenhang haben wir erfahren, dass tatsächlich bis 1993 noch das alte Erbrecht galt, nach dem immer der älteste Sohn der Alleinerbe des gesamten Familienbesitzes war. Ihr könnt euch vorstellen, dass das oft zu viel Blutvergießen geführt hat.

Für unsere Stimmung war die Besichtigung einer Destillerie mit Schnapsverkostung genau richtig. Unsere eh schon lustige Gruppe freute sich über die verschiedenen Kostpröbchen und die zwei beliebtesten Sorten, Kaffeelikör und Kräuterschnaps, nahmen wir direkt mit, um bei weiteren tollen Gelegenheiten anzustoßen. Was für eine gute Idee! Unser Fahrer Vincente fuhr uns gleich zu einem ganz besonderen Ort: einem Aussichtspunkt auf einem der Berge rund um Ordino, von dem ihr einen traumhaften Blick auf das Tal und Andorra habt! Es lag bereits Schnee und die Sonne schien am wolkenlosen Himmel – das war einfach eine wunderschöne Szenerie.

Für das leibliche Wohl wird in Andorra sehr gut gesorgt. So waren wir auch in einer „Borga“, einem der typischen Restaurants und dazu noch dem Lieblingsrestaurant von einigen Fußballspielern des FC Barcelona. Die Besitzer meinten, wenn diese in Andorra sind, kämen sie immer vorbei. Wir hatten leider kein Glück, aber wir verstehen jetzt, warum die so gerne kommen. Das Essen war einfach köstlich und das Ambiente sehr heimelig. Besonders die andorranische Bruschetta und die Kürbissuppe waren der Hit. Auf dem Rückweg zum Hotel machten wir noch an dem bekanntesten Besichtigungspunkt halt, nämlich an der Kirche Sant Joan de Caselles in Castillo. Die Kirche ist Motiv auf jeder andorranischen Postkarte. Kleine Zirruswolken am Himmel brachten auch uns in diesem Moment ein perfektes Fotomotiv. Ein wirklich gelungener Tag, der noch von einem Besuch im Wellnessbereich des Hotels abgerundet wurde. Was will man mehr?

Eine Kirche war uns aber nicht genug. Andorra hält nämlich gleich mal das extremste Kontrastprogramm in Kirchenarchitektur parat. Das Heiligtum der Meritxell ist eine alte Kirche, die durch einen Brand so zerstört wurde, dass sie komplett neu aufgebaut werden musste. Heute ist es eine super moderne Kirche mit viel Licht und Helligkeit. Die Architektur ist sehr umstritten aber keiner kann leugnen, dass das wirklich mal was anderes ist!

Andorraner sind in mancher Hinsicht anders als alle anderen. Obwohl es seit 1993 ein unabhängiger Freistaat ist, gibt es keinen Fürsten per se. Viel eher wird das Land von zwei Staatsoberhäuptern geführt: dem französischen Präsidenten und dem Bischof von Urgell. Im Parlamentssaal hängen zwei große Portraits der beiden, damit sie im Geiste jeder Parlamentssitzung beiwohnen. Wir hatten Glück und konnten uns das Parlament von innen anschauen. Natürlich ist das nicht möglich, wenn das Parlament tagt. Zu Sitzungen sind keine Touristen zugelassen und Besichtigungen können auch spontan abgesagt werden, wenn kurzfristig außerplanmäßige Sitzungen einberufen werden. Der Regierungssitz ist übrigens auch auf einer der seltensten Euromünzen zu sehen. Der Freistaat ist ein Teil der europäischen Währungsunion, selbst wenn er nicht Teil der Europäischen Union ist.

Ganz romantisch fing es nach unserem Parlamentsbesuch an zu schneien und wir machten uns auf den Weg ins Bergdorf Os de Civis, was gerade so hinter der andorranischen Grenze in Spanien liegt, doch nur von Andorra aus erreichbar ist. Dort gibt es ein ganz fantastisches Hotel mit Restaurant, bei dem wir direkt mit einer Kostprobe an Wurst und Käse begrüßt wurden. Während sich ein paar von uns erst einmal im Souvenirladen umgeschaut haben, hat es sich der Rest schon mal am Mittagstisch gemütlich gemacht. Die gemütliche Atmosphäre, die leckere Grillplatte und die schwungvolle Musik führten dann dazu, dass sich ein Teil unserer fröhlichen Gruppe auf die Tanzfläche trauten. Ein großer Spaß! Die ganze Gruppe nahm es sogar mit Humor, als wir später nach einem Stadtbummel zurück ins Hotel fahren wollten und wir nicht mehr aus dem Parkhaus heraus kamen, da sich der Automat mit der Anzahl im Parkhaus befindlicher Fahrzeuge vertan hatte. Die Schranke zum Rausfahren ist nämlich weiter im Parkhaus und anscheinend ist jemand genau parallel rein gefahren, als wir uns ausgeloggt haben, nur dass jetzt beide Busse in der Eingangszone standen… 😀 Zum Glück war unser Busfahrer Vincente ein erfahrener und kompetenter Mann und navigierte uns auch durch diesen Engpass.

Während wir auf dem Weg zu einer Tanzvorstellung waren, nahm der Schneefall langsam zu. In Andorra sind die Höhenunterschiede schon gravierend. Das Land an sich ist zwar klein aber durch die Pyrenäen kann es doch anstrengend werden von A nach B zu kommen. Trotz dem Wetter haben wir es uns nicht nehmen lassen, zu der Vorführung zu fahren. In Enchamp haben wir dann moderne Tanzinterpretationen auf altehrwürdige andorranische Volkslieder genossen. Das war eine spannende Mischung, auch wenn unser Katalanisch nicht ausreichte, um die Moderation zu verstehen. 😀 

Unser Abreisetag begann schon morgens mit starkem Schneegestöber, so dass unsere geplante Passstraße gesperrt wurde. So mussten wir leider die bereits bekannte Strecke zurück nach Spanien nehmen. Das hätte uns schon eine Warnung sein können, denn es sollte ein langer Tag werden.
Wegen des Schneefalls sind wir früh Richtung Barcelona aufgebrochen, um noch eine Stadtrundfahrt genießen zu können, bevor wir nachmittags den Rückflug antreten mussten. Auf einem Rasthof geschah dann das Unglück. Einem Gruppenmitglied wurde in einem unaufmerksamen Moment die komplette Handtasche mit allen Papieren gestohlen! Das war ein Schock! Immerhin braucht man ja Ausweispapiere für den Flug. Wir informierten sofort die Polizei, doch bis die eintraf, waren die Täter schon über alle Berge. Nun standen wir vor der Herausforderung, in einem Sprachenmix und mit Gestiken den Polizisten die Geschehnisse zu erklären und die Herren wiederum mussten uns mit Händen und Füßen zu verstehen geben, was sie von uns an Daten und Informationen brauchten. Wäre die Situation aus einem Film, wäre sie definitiv sehr lustig gewesen. Mit der Anzeige und den schriftlichen Dokumenten in der Tasche ging es dann weiter nach Barcelona. Unsere Stadtrundfahrt wurde etwas verkürzt, damit wir rechtzeitig zum Flughafen kamen. Aber dann passierte das nächste Unglück.

Als wäre der Tag nicht schon ereignisreich genug, brach ein heftiges Gewitter los – gerade als wir an Bord gegangen waren. Wir hatten eigentlich schon ein gutes Gefühl, denn unsere Flugnummer 1846, beinhaltete das Gründungsjahr der Gießener Basketballer 46ers! Leider wurden wir eines Besseren belehrt. Das Gewitter war so heftig, dass die Blitze um uns herum um die Wette zuckten – einer davon direkt in die Maschine. Nun sind Flugzeuge so gemacht, dass das passieren kann, ohne dass jemand zu Schaden kommt – die Piloten stellten aber einen Systemfehler fest und wir mussten umsteigen.
Nachdem unser Ersatzflugzeug einsatzbereit, alle an Bord startklar und die Maschine auf dem Weg zur Startbahn war, kam die nächste Verzögerung: Startverbot wegen Turbulenzen. Zu dem Zeitpunkt nahmen wir es alle nur noch mit Humor. Wir verteilten noch die Reste unserer Brezeln und rätselten wegen des schlecht verständlichen Englisch, was der Kapitän uns aus dem Cockpit sagen wollte. Endlich, mit reichlich Verspätung, starteten wir Richtung Heimat.

Wie heißt es so schön: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.“ Andorra wollte uns einfach noch nicht gehen lassen, denn es gibt noch so viel zu entdecken. Wir kommen definitiv wieder, eventuell zur Nebensaison im Sommer. Vielleicht reisen wir dann aber lieber über Toulouse! 😀

Lisa Reinkober | Profi für Frankreich und Carolin Koch | Profi für Italien