
Im Herbst diesen Jahres war ich für vier Tage auf Erkundungstour durch Estland – für mich super aufregend, da ich weder jemals so weit nördlich auf unserer Erdkugel war noch das Baltikum kenne. Ich hab‘ mich so sehr auf den Kurzurlaub gefreut!
Eine Stadt – Vier Jahrhunderte
Angekommen am Tallinner Flughafen drehte ich meine Uhr erstmal einmal eine Stunde vor und es begrüßte mich ganz herzlich unsere Reiseleiterin Inga. Inga war ein richtiger Schatz. Sie hat sich die ganze Zeit so sehr bemüht, dass es uns an nichts fehlte, das hat sich viel eher wie eine Gast-Mama angefühlt als eine Reiseleitung. Wir luden unsere Koffer in den kleinen Bus und los ging es zur ersten Rundfahrt durch die estnische Hauptstadt. Diese wunderschöne Hansestadt begeisterte mich sofort und ich konnte so prima einen ersten Überblick über die Stadt gewinnen. Zu meiner Überraschung war das Wetter genau so „warm“ wie bei uns. Ich hatte irgendwie damit gerechnet, dass es deutlich kälter sein würde. Aber bis auf die typischen kurzen Regenschauer, denen man in Küstenregionen ja gern ausgesetzt ist, war es ähnlich warmes Herbstwetter wie bei uns zu Hause.
Im Hotel angekommen bekamen wir in der Lobby ein leckeres Begrüßungsgetränk und lernten wir auch gleich unser erstes estnisches Wort „Terviseks“ (Zum Wohl). Nach einem köstlichen Mittagessen im Restaurant „Nipernaadi“ – natürlich gab es in einer Hafenstadt Fisch, erkundeten wir die Altstadt zu Fuß. Trotz des Nieselregens und des Windes hielten wir tapfer durch. Das schlechte Wetter konnte dem Rundgang nicht seinen Charme nehmen. Die mittelalterliche Altstadt befindet sich auf einem Berg umrandet von Burgmauern. Wir erkundeten die wunderschönen erhaltenen Gebäude und kleine Lädchen, die verwinkelt in noch kleineren Gässchen sich versteckten. Tallinn hat eine so traumhafte Altstadt, da kommen nicht nur Geschichts-Fans auf ihre Kosten! Die Einwohner unterstützen die Atmosphäre, in dem sie ihre Läden entsprechend einrichten und auch in Gewandung tagtäglich Touristen begrüßen.
Ich als Schleckermäulchen freute mich besonders auf die Marzipan-Werkstatt „Kalev“, wo Marzipan schon vor Hunderten von Jahren hergestellt wurde. Man munkelt, es soll sogar besser als das Lübecker Mazipan schmecken – für mich sind beide sehr lecker. Nachdem wir uns gestärkt und mit einem warmen Kaffee aufgewärmt hatten, ging es munter weiter. Wir spähten in die alte Ratsapotheke aus dem 15. Jahrhundert und bestaunten den mittelalterlichen Marktplatz, nahmen einen kleinen Schnaps in der Kerzen beleuchteten Kneipe „Ill Draakon“ im Ratskeller ein und spazierten zurück ins Hotel von wo aus wir dann ins moderne Stadtviertel „Rotermanni“ zum Abendessen fuhren. Dieser Kontrast war unfassbar. Auf einmal stand ich zwischen hochmodernen, architektonisch bewundernswerten Wolkenkratzern wo ich doch nur Minuten zuvor umgeben von mittelalterlich gewandeten Menschen und Gemäuern war. Den Abend verbrachten wir dann im stylischen Restaurant „Platz“ bei leckerem Essen.
Tags darauf war unser erstes Ziel der Schlosspark sowie die Besichtigung des Kunstmuseums KUMU, das 2008 die Auszeichnung als „bestes Museum Europas“ erhalten hat. Zu Recht, wie ich meine, denn bereits das Gebäude ist beeindruckend. Aber schaut doch selbst rein, denn das KUMU bietet eine virtuelle Tour an. Die Reise ging weiter zum Tallinner Fernsehturm. Auf dem Weg dorthin machten wir einen kleinen Stopp an der Sängerbühne und unsere Reiseleiterin brachte uns die Kultur der singenden Esten etwas näher. Seit jeher wird in Estland gesungen, man sagt, sogar noch bevor es die ersten estnischen Worte gab. Musik ist also tief im Nationalbewusstsein verankert. Nach dem zweiten Weltkrieg war das Singen von nationalen Liedern allerdings strengstens verboten – aber zum Glück teilen sich die Esten die Melodie ihrer Nationalhymne mit den Finnen und so konnten sie – durch die geografische Nähe zu Finnland – „ihre“ Hymne dennoch jeden Abend im finnischen Radio hören. Heute findet in Estland alle fünf Jahre eines der größten Gesangsfestivals statt – das Estnische Liederfest. Hier kommt ihr an Musik auf keinen Fall vorbei. 😉
Auf dem Fernsehturm angekommen überraschte uns unsere Reiseleiterin Inga mit einem tollen Highlight – wir durften in 175 Meter Höhe draußen auf der Plattform „Edge Walking“ ausprobieren. Wenn ihr Tallinn besucht, könnt ihr hier oben jederzeit selbst mit dem Guide nach draußen – es sei denn ihr seid schwanger oder fallt sonst wie aus den Richtlinien, da sind sie nämlich sehr streng und achten auf die Sicherheitsvorschriften! Nachdem ich meine Scheu überwunden hatte, war die Aussicht traumhaft. Ich konnte über ganz Tallinn in 360 Grad bis zur Ostsee blicken. Am Ende traute ich mich sogar, mich auf die Kante zu setzen und die Beine baumeln zu lassen. Super Erfahrung, kann ich nur jedem Adrenalin-Junkie empfehlen!
Nachdem wir kurz durchs Künstlerviertel in Tallinn geschlendert sind – was für coole Werke an den Hauswänden und auf den Plätzen verteilt! –, genehmigten wir uns ein Mittagessen auf dem historischen Eisbrecher „Suur Töll“ und anschließend den Besuch des Seaplane Harbour Museums. Das ist ein umgebauter Hangar für Wasserflugzeuge, der nun viele Ausstellungsstücke beinhaltet, wie ein gigantisches U-Boot, dass ihr auch von innen erkunden dürft. Die Führungen sind super, denn sie achten hier darauf, dass die Gruppen nicht zu groß sind und teilen eine Große lieber in zwei kleinere, damit auch jeder die spannenden Geschichten gut hören kann. Getoppt wird das Ganze noch mit vielen interaktiven Spielen für Kinder und Erwachsene. Das Museum ist für Groß und Klein echt ein Riesenspaß. 🙂
Lahemaa – ursprüngliche Natur
Im Kontrast zum urbanen Estland stand der idyllische Nationalpark Lahemaa als weiteres Reiseziel auf unserem Programm. Hier wanderten wir durchs Hochmoor und bestaunten die unberührte Natur. Nachdem wir die letzten Tage die Hauptstadt erkundeten, war das eine willkommene Abwechslung. Trotz Regen genossen wir die Ruhe, die der Wald ausstrahlte. Auf dem Rückweg zum Bus wurden wir mit einem Picknick mitten im Wald überrascht, wo wir leckere belegte Brote mit Fisch und warmen Apfelsaft genießen konnten.
Auf dem Weg zu unserer nächsten Unterkunft kamen wir am kleinen Fischdörfchen Altja vorbei. Die Mittagspause gab’s mit tollem Ausblick auf süße Holzhäuschen direkt am Meer. Das rustikale Restaurant (in Estland Krug genannt) „Altja Körts“ versetzte mich in die Zeit der Vikinger zurück. Es gab mal wieder Fisch. Eigentlich mag ich Fisch gar nicht so sehr, aber hier gehört er nun einmal zur Tagesordnung und in fast jedem 3-Gänge-Menü ist mindestens ein Gang mit Fisch zubereitet. Ansonsten war ich überrascht, wie ähnlich die Küche der deutschen ist – viel Kartoffeln, vor allem als leckeren Kartoffelbrei! Köstlich 😀
Dann kam eine große Überraschung – mitten im Nationalpark liegt das „Vihula Manor Country Club & Spa“. Das Gut stammt aus dem 16. Jahrhundert und besteht aus zwei großzügigen Hauptgebäuden und 25 weiteren historischen Nebengebäuden, die auf beinahe 50 Hektar zauberhafter Landschaft mit eigenem Obst- und Gemüsegarten sowie Hühner-, Kaninchen- und Pferdeställen verteilt stehen. Das Anwesen ist unbeschreiblich und für hochwertige Gruppen oder besondere Programme toll geeignet! Die Gebäude sind alle restauriert und geschickt modernisiert worden, sodass das Flair erhalten blieb aber alle neuen Annehmlichkeiten verfügbar sind. Unfassbar toll! Kein Wunder, dass hier auch gern Hochzeiten und andere Feierlichkeiten gehalten werden.
Das Gut versorgt sich nahezu ausschließlich selbst und so konnten wir einige tolle Kurse vor Ort ausprobieren wie beispielsweise eine Wodkaverkostung bei der ich, die ich sonst lieber Cocktails trinke, Wodka mit Apfelsaft und Zimt probieren durfte – hmmm, lecker! Mein anderer Lieblingskurs war das Herstellen von Apfelsaft und -muß im Gewächshaus mit frisch gepflückten Äpfeln. Zum einen hatte ich das vorher noch nie selbst gemacht und zum anderen hatte ich direkt Mitbringsel für die Liebsten daheim – die haben sich was gefreut!
Weder Estland noch das Baltikum insgesamt standen je auf der Liste meiner Reisewünsche – bis jetzt! Die mittelalterliche Altstadt vereint mit dem modernen Bankenviertel macht die Hauptstadt Estlands für Jedermann attraktiv – ich würde hier definitiv noch einmal zurück kommen und meinen Freunden dieses unterschätzte Urlaubsziel zeigen! Ich bin begeistert von dem Zusammenspiel aus Großstadt-Feeling und unberührter Natur. Meine Reiseliste wurde nun auch durch Lettland und Litauen erweitert und das Fernweh meldet sich schon… 😉
Theresa Brunner | Junior-Profi für Osteuropa