Seemannsgarn, Fischauktion und Lustschlösser


Im Spätsommer die letzten Sonnenstrahlen genießen und die warme Jahreszeit bei einem Wochenendausflug ausklingen lassen – das klingt verlockend oder? Haben wir uns auch gedacht und so ging es auf in die Niederlande, genauer gesagt in die Provinz Flevoland. Bevor wir uns auf die nicht allzu lange Reise (mit dem Auto waren wir von Gießen aus circa viereinhalb Stunden unterwegs) war ich sehr neugierig. Nicht nur, weil ich zuvor noch nie in Flevoland war, sondern auch weil das die jüngste Provinz in den Niederlanden ist. Sie wurde erst 1986 gegründet. Der einfache Grund dafür ist, dass auch die Landfläche, aus der Flevoland besteht, noch gar nicht so lange existiert. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Gebiet durch Trockenlegung von Teilen des Ijsselmeeres gewonnen.

Durch diese Geschichte hat die Provinz natürlich eine sehr starke Verbindung zum Wasser. Ein besonderes Erlebnis war daher unser Besuch bei einer Fisch-Auktion auf Urk. (Obwohl der Ort Urk mittlerweile durch die Neulandgewinnung mit dem Festland verbunden ist, war er vor der Trockenlegung eine Insel im Ijsselmeer, deshalb sagt man heute auch oft noch „auf“ statt „in“ Urk.) Zunächst durften wir uns natürlich den Auktionssaal anschauen, dann haben wir einen circa 15-minütigen Film über die Geschichte des Fischfangs und der Auktion gesehen, bevor es endlich mit dem Ersteigern los gehen konnte. Wir konnten bei keiner echten Auktion dabei sein, denn zwischen all den Fischhändler und Restaurantbesitzern geht es frühmorgens sehr chaotisch zu. Stattdessen wurde extra für Besucher eine Auktion nachgestellt, bei der wir selbst auch die Knöpfchen auf den Fernbedienungen drücken und somit selbst bieten durften. Ersteigern konnte man in dem Fall natürlich keinen echten Fisch, sondern große Taschen, gefüllt mit allerlei Souvenirs und und Kleinigkeiten.

Anschließend ging es auch direkt mit Geschichten über die Tradition der Fischer in Flevoland weiter. Im Restaurant „Het Achterhuis“ – der Kuchen hier ist köstlich – hat ein alteingesessener Seemann aus Urk seine schönste Kapitänsuniform für uns angelegt und hinter dem tollen altmodischen Pult, das aus Überresten eines alten Schiffes bestand, für uns aus dem Nähkästchen geplaudert. Neben vielen Anekdoten über die Geschichte Urks selbst ist mir besonders in Erinnerung geblieben, dass Seemänner früher immer ganz besonders ausgefallene, aufwendig verzierte und wertvolle Ansteckorden getragen haben. Wenn sie auf See starben, konnten ihre nun verwitweten Frauen die Ansteckordern verkaufen und mussten sich so nicht um ihre Rente sorgen. Ganz klar ist mir leider noch nicht, ob diese Ansteckorden wirklich auf See oder nur zu bestimmten Anlässen getragen wurden, denn ich kann mir vorstellen, dass man die leblosen Körper der Seefahrer bei einem Tod auf hoher See oft nicht mehr mit an Land bringen konnte. Falls ihr euch bei dem Thema auskennt, würde ich mich über einen Kommentar freuen! :)

Eine ähnliche Geschichte wie Urk hat der Ort Schokland, der war früher auch eine Insel und hat durch die Neulandgewinnung eine Verbindung zum Festland bekommen. Seit 1995 ist Schokland sogar UNESCO-Weltkulturerbe. Im Museum der kleinen ehemaligen Insel kann man herausfinden warum: Trotz der ständigen Überschwemmungen war Schokland schon immer eine beliebte Region um Siedlungen zu gründen. Insbesondere im Mittelalter lebten hier verhältnismäßig viele Menschen. Diese wurden zwar immer wieder durch das Wasser vertrieben, dennoch hatten die Überschwemmungen aus heutiger Sicht auch ihr Gutes, denn so wurden zahlreiche Relikte der Menschen konserviert und sind heute unbezahlbare archäologische Schätze. Im Museum kann man daher nicht nur die zahlreichen Fundstücke aus den über 160 archäologischen Fundstellen in der Region bewundern, sondern es werden regelmäßig auch Kurse über Geologie und Archäologie angeboten.

Wenn ihr Flevoland besucht, dann solltet ihr auf jeden Fall einen Abstecher zur Batavia-Werft in der Hauptstadt der Region machen. Dort in Lelystad befindet sich der Nachbau des gleichnamigen Schiffes der niederländischen Ostindien-Kompanie von 1628. Am besten zieht ihr festes Schuhwerk an, wenn ihr das Schiff erkundet, denn man muss sich schon richtig durch die engen Gänge durchklettern. Aber auch mit festem Schuhwerk müsst ihr aufpassen! Mir wäre fast mein Smartphone ins Wasser gefallen. 😉 Außerdem mussten wir permanent gebückt gehen und die Köpfe einziehen – die Menschen waren früher viel kleiner als heute und dementsprechend wurde auch das Schiff sehr kompakt gebaut. Obwohl es im Schiff natürlich spannend war, haben mir die vielen Schnitzereien auf der Außenseite am besten gefallen.

Meine beiden persönlichen Highlights der Fleevoland-Reise waren trotz des tollen Schiffes und den Anekdoten beim Kuchenessen, die beiden Schlösser, die wir erkundet haben. „Kasteel Cannenburg“ ist ein Wasserschloss aus dem 16. Jahrhundert. Wie in einem Märchen, ist das Schloss von Wassergräben umgeben und es gibt unzählige Details zu entdecken, manchmal ziehen die vielen verschnörkelten Muster die Blicke auf sich, manchmal die Akzente aus Gold. Das zweite Schloss „Het Loo“ (zu deutsch: Waldlichtungsschloss) kann man schon fast als einen Palast bezeichnen, denn es ist einfach riesig. Ursprünglich wurde es im 17. Jahrhundert als Lustschloss für einen niederländischen Stadthalter erbaut, der ebenfalls König von England war. Mittlerweile wird „Het Loo“ als Museum genutzt, in dem die Geschichte des niederländischen Königshauses erzählt wird. Den Internetauftritt von „Het Loo“ gibt es übrigens auf Deutsch, da solltet ihr unbedingt mal vorbei schauen, wenn ihr mehr erfahren möchtet. Obwohl das ehemalige Lustschloss selbst viel zu bieten hat, wird es erst bei den Gärten so richtig spannend finde ich, diese wurden im Stil des Barock renoviert und werden nun mit viel Aufwand gepflegt. Richtig zur Geltung kommen die Gärten erst, wenn man sie sich von oben ansehen kann, deshalb solltet ihr unbedingt aufs Dach gehen und von dort ein paar Fotos schießen. 😉

 Mir hat es bei meinem ersten Besuch in Flevoland so gut gefallen, dass ich gerne noch ein bisschen länger geblieben wäre. Deshalb habe ich auch schon Pläne für meinen nächsten Reise dorthin. Unter anderem würde ich gerne eine Radtour oder eine Schifffahrt unternehmen. Am allerliebsten würde ich aber den niederländischen Seemännern bei der Arbeit einmal über die Schultern schauen und euch anschließend davon berichten.

Bis bald,

Natalie Schnapka | Länderprofi für Alpen-Adria und Flusskreuzfahrten (ehem. Länderprofi für Benelux und die Schweiz)