Sevilla – bei Carmen und Kolumbus


Man muss den Kopf in den Nacken legen, wenn man so vor der Kathedrale steht und den Figurenschmuck des stolzen Bauwerks bewundern will. Denn die Kathedrale María de la Sede von Sevilla ist wirklich gewaltig. Mit einer Länge von 115 Meter und einer Breite von 76 Metern ist sie die größte gotische Kirche Spaniens und eine der größten Kirchen der Welt überhaupt. Stolze 42 Meter ist das mittlere Kirchenschiff hoch, insgesamt hat die Bischofskirche fünf Kirchenschiffe. Ihr solltet euch genug Zeit nehmen für eine Besichtigung, nicht nur, weil die Kathedrale so gewaltig ist, sondern vor allem, weil sie eindrucksvoll schön ist und weil sie eine Menge Besonderheiten hat, die ihr in Ruhe entdecken solltet.

Da ist zum Beispiel der Turm der Kathedrale, die „Giralda“. Der Begriff Giralda kommt vom spanischen Wort für „drehen“, „kreisen“ und der Name bezieht sich auf die Wetterfahne, die auf der über 104 Meter hohen Turmspitze steckt. Die Giralda hieß aber nicht immer so und sie war nicht von Anfang an so hoch. Der jetzige Turm der Kathedrale war einst das Minarett der alten maurischen Moschee, die an der Stelle stand, an der man zwischen 1401 und 1519 die gotische Kathedrale errichtet hat. Wenn man sich Minarett-Türme in Marokko anschaut, fällt die Ähnlichkeit direkt ins Auge. Auf den bestehenden Turm haben die Baumeister später dann einen Glockenturm aufgesetzt. Wirklich wahr: Bis zu einer Höhe von etwa 70 Meter konnte man übrigens mit dem Pferd hinauf, da es im Innern des Turmes keine Treppe, sondern eine breite Rampe gibt – was heute das Besteigen des Turmes angenehmer macht, als wenn man Treppen steigen müsste.

Im Hauptschiff der Kathedrale wird man schier überwältigt, wenn man vor dem Hochaltar steht, der über und über mit Gold bedeckt ist. Mit einer Abmessung von etwa 23 auf 20 Meter gilt der Altar sogar als der größte der Welt überhaupt. Dargestellt sind biblische Szenen, an denen zwölf Bildhauer achtzig Jahre lang gearbeitet haben sollen. Mit seinem immensen Gold- und Figurenschmuck ist der Hochaltar das Zeugnis dafür, welcher Reichtum einst in Sevilla herrschte.
Für den Goldstrom, der sich im 16. Jahrhundert in die Stadt ergoss und dort im so genannten „Torre del Oro“ (Goldturm) aufbewahrt wurde, hat ein Mann gesorgt, der ebenfalls in der Kathedrale begraben ist: Christoph Kolumbus. Nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, hatten spanische Konquistadoren wie Cortez und Pizarro große Gebiete in Süd- und Mittelamerika erobert, aus denen in den nächsten Jahrhunderten wahre Ströme an Gold und Silber nach Spanien kamen. Die Schiffe mit diesem Edelmetall legten in Sevilla an – und die Schätze wurden in dem achteckigen Torre del Oro am Ufer des Flusses Guadalquivir aufbewahrt.

Die Kathedrale ist für mich das beeindruckendste Bauwerk in Sevilla und der Besuch ist stets ein absolutes Highlight. Übertroffen allerdings noch von dem Bummel durch die Altstadt. Sevillas Zentrum besteht aus wunderbaren Plätzen und einem wahren Labyrinth von Straßen, Gassen und schmalen Gässchen, in dem man sich wunderbar verlaufen kann. Ein klasse Zeitvertreib übrigens, da es in der Altstadt Bars und Kneipen ohne Ende gibt, in dem man schon die eine oder andere Stunde zubringen kann – was die Sevillanos auch so machen. Ein großer Teil des Lebens spielt sich auf den Straßen und Plätzen der Stadt ab und bei einem Kaffee oder einem Bierchen – das in ganz kleinen Gläsern ausgeschenkt wird und so stets frisch ist – kann man dieses lebendige Treiben wunderbar beobachten.

Für den kleinen und großen Hunger hat man in Sevilla die Tapas geschaffen. Egal, ob man Wurst, Schinken, Gemüse, Fisch oder was auch immer mag, in den Lokalen der Stadt steht es auf der Tapas-Karte. Zu meinen Favoriten zählten der lokale Schinken und ein mit Olivenöl und Kräutern angemachter Kartoffelsalat. Die Portionen sind klein, so dass man jede Menge verschiedene Tapas probieren kann. Gut gestärkt, kann man sich weiter durch die Gassen der Altstadt treiben lassen, in den vielen Geschäften bummeln oder aber natürlich die weiteren Sehenswürdigkeiten besuchen. Etwa den Alcázar, einen maurischen Palast, der sich unmittelbar neben der Kathedrale befindet und der wie diese ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

Mir persönlich gefällt die Plaza de España besonders gut, die nach einem kleinen Spaziergang von der Altstadt aus zu erreichen ist. Der Platz wurde zur Ibero-Amerikanischen Ausstellung angelegt, die Spanien 1929 veranstaltete. Es ist ein halbrunder Platz, wobei der von Gebäuden gesäumte Halbkreis einen Durchmesser von 200 Metern hat. Die Architekten wollten durch die Gestaltung des Platzes die Umarmung der ehemals spanischen Kolonien durch Spanien symbolisieren – was man aber vorher gelesen haben muss, um darauf zu kommen. Bei der Gestaltung des Gebäudes, das den Halbkreis umgibt und an dessen zwei Enden jeweils ein Turm steht, haben sich die Architekten bei so ziemlich allen Stilrichtungen bedient, das Gesamtergebnis ist überraschend harmonisch. An den Wänden stellen Kachelornamente, so genannte „Azulejos“, historische Ereignisse aus 48 spanischen Provinzen dar, manchmal hat man sich für Wappen entschieden, ein anderes Mal für eine Landkarte, oft aber sind es historische Ereignisse aus den jeweiligen Städten oder Provinzen, die hier gezeigt werden.

Noch ein Tipp für alle Freunde der Star Wars-Filme: Für „Episode II – Angriff der Klonkrieger“ wurden einige Szenen hier auf der Plaza de Espana gedreht, die den Planeten Naboo darstellen, was trotz starker digitaler Bearbeitung noch erkennbar ist.

Wenn man von der Plaza de España zurück ins Zentrum spaziert, kommt man an der alten Tabakfabrik vorbei, in der die Carmen aus der gleichnamigen Oper Zigarren gedreht haben soll. In dem palastartigen Gebäude, das auf den ersten Blick ziemlich wenig an eine Fabrik erinnert und auf den zweiten Blick immer noch nicht, befindet sich heute der Hauptsitz der Universität von Sevilla. Man sollte einen Blick in die Innenhöfe werfen, um einen Eindruck von dem Gebäude zu bekommen. Die Tabakindustrie war im 18. und 19. Jahrhundert einer der wichtigsten Wirtschaftszeige von Sevilla und die gewaltige Fabrik einst eine Welt für sich, in der es sogar ein eigenes Gefängnis gab. Vor allem Frauen haben hier gearbeitet, unter ihnen auch jene Carmen, die Bizet zur Hauptdarstellerin seiner berühmten Oper machte.

Wenn der Tag schon fortgeschritten ist, kann man jetzt durch das Stadtzentrum eine moderne Sehenswürdigkeit von Sevilla ansteuern, den Metropol Parasol. Dabei handelt es sich um eine riesige Holzkonstruktion, die mit einer Länge von 150 Metern, einer Höhe vom 26 Metern und einer Breite von 70 Metern auch als größte Holzkonstruktion der Welt gilt. Der Metropol Parasol steht in der Altstadt von Sevilla, an einem Ort, an dem früher eine Markthalle stand, von den Einheimischen wird sie wegen ihrer geschwungenen Form auch gerne als „Las Setas“ (die Pilze) bezeichnet. Mit einem Aufzug kommt man auf das Dach des Bauwerks und man kann hier in der Bar zum Sonnenuntergang einen Drink nehmen und den Blick über die Dächer der Stadt schweifen lassen.

Thomas Burgert | Freier Journalist