Ein Wunder aus dem Abendland


Über Zeiten und Gezeiten hinweg.

Endlich habe ich es selbst einmal geschafft mir das UNESCO Kulturerbe Mont Saint Michel mit eigenen Augen anzusehen. Das Kloster an der Küste der Normandie ist wohl die berühmteste aller Sehenswürdigkeiten in der Region. Ja, auch wenn die Bretonen gerne Anspruch auf den Mont Saint Michel erheben – er gehört tatsächlich zur Normandie! Aber das ist ein anderes Thema… Während meinem Urlaub durch Nordfrankreich konnte ich mich nun schließlich selbst überzeugen, warum die Klosterinsel so beliebt ist. Sogar Peter Jackson inspirierte das Kloster zum Bau der Hauptstadt von Gondor im Herrn der Ringe!

Tatsächlich beherbergt die 92 Meter hohe Felseninsel auch eine Gemeinde mit ca. 50 Einwohnern, die schon seit 708 n.Chr. an der felsigen Küste des Ärmelkanals existiert. Bekannt ist sie allerdings durch ihre befestigte Benediktiner-Abtei, die mitten auf dem gerade einmal 830 Meter umfassenden Felsen thront. Heute wird die Abtei wieder von Ordensleuten der Gemeinschaften von Jerusalem bewirtschaftet. Die Gemeinschaft war mir vor dem Besuch noch nicht bekannt, aber man lernt ja nie aus, stimmt’s?

Ursprünglich war die Insel nur bei Ebbe von der ca. ein Kilometer entfernten Küste zu erreichen. Um diese gefahrlos und gezeitenunabhängig zu erreichen wurde um 1877 ein Damm gebaut, was aber dann dazu führte, dass die Insel nicht mehr komplett von Wasser umspült wurde. Sie drohte zu versanden und der Inselcharakter ging verloren. Um dem Einhalt zu gebieten, entwickelte Frankreich mit immensem Aufwand ein Renaturierungsprojekt, das nun – nach 20 Jahren! – in 2015 fertiggestellt wurde. Zum ersten Mal nach fast eineinhalb Jahrhunderten ist der Mont Saint Michel wieder von Wasser umgeben und wurde damit wieder zu einer Insel.

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Wer vor einigen Jahren noch den Mont Saint Michel besuchte, konnte mit dem Auto oder Bus bis kurz vor den Eingang zum Klosterberg fahren und dort parken. Das ist nun nicht mehr möglich, denn Teil des Projektes war unter anderem, den Parkplatz gleich vor den Toren des Klosterbergs 2,5 Kilometer zurück ins Land zu verlegen. Nahe des Bus- und PKW-Parkplatzes befinden sich nun ein Besucherzentrum sowie die Haltestellen für Shuttlebusse und Pferdekutschen. Je nachdem, wo man geparkt hat, läuft man ca. 5 -10 Minuten zu den Haltestellen. Die Shuttlebusse sind kostenlos und fahren in regelmäßigen Abständen nun über eine Stelzenbrücke zur Insel und wieder zurück. Die Wartezeiten hängen stark vom Besucherandrang ab. Länger als 10 Minuten wartet man aber in der Regel nicht. Die Pferdekutschen sind zwar stilechter doch kostenpflichtig und brauchen für eine Stecke etwa 25 Minuten.

Die Stahlstützen stehen in Abständen von zwölf Metern, die das Wasser frei unter der Brücke durchfließen lassen. Sie ersetzt den nun abgetragenen Straßendamm. Die Fahrt im Shuttle dauert etwa 10 Minuten und endet ca. 200 Meter vor Ende des Steges auf einem vorgelagerten Bereich, der eventuell überflutet werden kann. Der restliche Weg wird zu Fuß zurückgelegt und man kann die besondere Atmosphäre ohne Autos und Lärm erleben.

200 Millionen soll das Renaturierungsprojekt gekostet haben – und bei Springfluten wird nun der Mont Saint Michel wieder komplett vom Wasser umspült – und sein maritimer Charakter wieder hergestellt.

Natürlich kann man die Strecke bei Ebbe auch über das Watt zurücklegen. Dafür sollte man um die 40 Minuten einplanen und natürlich auf die Gezeiten achten. Die haben es hier in sich! Eine Wattwanderung solltet ihr nur mit einem professionellen Führer machen, denn um die Insel herum gibt es gefährliche Treibsände! Bitte passt hier auf euch auf. Eine Wattwanderung ist auch an sich ein Erlebnis. Eine schöne Strecke von etwa sieben Kilometern ist die von Genêts an der Nordseite der Bucht vorbei an der unbewohnten Felseninsel Tombelaine zum Mont Saint Michel.

Alle 18 Jahre, wenn Sonne und Mond in einer Linie stehen, kommt es hier auch zu einem besonders hohen Tidenhub. Am Tag nach der Sonnenfinsternis 2015 wurden sogar Teile der neuen Stegbrücke überflutet.

Da der Mont Saint Michel seit 1979 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört und auch am Jakobsweg durch Frankreich liegt, kommen jährlich etwa 3,5 Millionen Besucher hierher. Zu Recht – denn der Anblick der weltbekannten Silhouette ist mystisch und majestätisch – und auch immer wieder anders. Die Abtei ist wieder zum Pilgerort geworden und hat auch seine düsteren Geheimnisse. Die Legende besagt, dass 704 n.Chr. dem Erzbischof von Avranches der Erzengel Michael im Traum erschien um den Bau einer Kapelle auf dem Mont Tombe (ehem. Name bis zum 8. Jhd.) zu veranlassen. Aber der Bischof folgte der Aufforderung nicht, bis der Engel ihm ein Loch in den Schädel brannte. Dieser Schädel von Aubert mit dem Loch wird in der Kirche Saint-Gervais in Avranches aufbewahrt, in Wahrheit wird es aber ein Fälschung aus dem Mittelalter sein. Ca. 708n.Chr. errichtete der heilige Aubert dann doch eine heilige Stätte zu Ehren des heiligen Michael. Heute ist die Kapelle zur Stiftskirche umgewandelt worden, in der angeblich die Reliquien des Erzengels Michael aufbewahrt werden.

Ein früherer Besuch von Mont Saint Michel, mit dem nahgelegenen Parkplatz, war sicherlich eine bequemere Variante – schließlich legt man auf der Insel selbst auch schon einige Wege mit steiler Steigung und holprigem Kopfsteinpflaster zurück. Doch ein Besuch lohnt sich nach wie vor. Und – die wirklich grandiose Lage mit dem Kloster auf dem Felsen, der nun an ca. 70 Stunden im Jahr wieder eine Insel ist – sind das bisschen Mühe mehr wirklich wert. Das passiert immer dann, wenn die Flut besonders hoch ist. Dies ist an ca. 20 Tagen im Frühjahr und Herbst 2016 der Fall.

Hier habe ich für euch noch die Termine, an denen ihr den Mont Saint Michel 2016 wieder als Insel erleben könnt:

  • 7. April (abends), 8. – 9. April, 10. April (morgens)
  • 7. – 8. Mai
  • 17. September (abends), 18. – 19. September
  • 16. Oktober (abends), 17. – 18. Oktober, 19. Oktober (morgens)
  • 14. November (abends), 15. – 16. November, 17. November (morgens)

Und dann noch ein persönlicher Tipp: Geht auf dem Hinweg zu Fuß und nehmen auf dem Rückweg den Shuttlebus. Dem Klosterberg langsam immer näher zu kommen und zu sehen, wie er nach und nach immer größer erscheint ist schon sehr beeindruckend! Was für die Natur gut ist, erfordert für Touristen – gerade für Busgruppen – ein gewisses Umdenken. Je nach Ausgangsort wird der Besuch des Mont Saint Michel nun schnell zum Tagesausflug. Für einen Besuch der Insel ohne Abtei solltet ihr etwa drei Stunden, mit Abtei mindestens vier Stunden einplanen. Beim Besuch der Abtei kommt es immer auf die Saisonzeit und Besucheranzahl an, da dann das Kaufen der Tickets vor Ort meist mit Wartezeiten verbunden ist.

Aber mal im Ernst: Wenn eine Sehenswürdigkeit schon als das „Wunder des Abendlandes“ bekannt ist, erscheint es doch nur standesgemäß, dass man diesem Wunder auch tatsächlich einen Tag widmet, oder?

Der St. Michael’s Mount (rechtes Bild), das Wahrzeichen Cornwalls an der südwestlichen Ecke Englands sieht dem berühmten Mont Saint Michel in Frankreich sehr ähnlich – nur wie eine kleine Miniaturausgabe. Obwohl nur 334,84 km Luftlinie entfernt gibt es doch Unterschiede: Aber davon erzählen wir euch ein ander‘ Mal.

Wenn ihr auch einmal den Mont Saint Michel besuchen möchtet, inspiriere ich euch gern mit einer Reise.

Christine Scherhag | Profi für Frankreich